4 Arten der EntscheidungEin Mensch ist im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet, dass er ein Lebewesen ist, das Entscheidungen trifft. Dabei sind bei Weitem nicht alle Entscheidungen bewusster Natur – ganz im Gegenteil ein Großteil wird völlig unbewusst getroffen; nichtsdestotrotz ist der Mensch ein Wesen, das aktiv lebt und nicht, wie etwas die Tiere, passiv gelebt wird. Entscheidungen bestimmen unser Schicksal, sie sind die einzelnen Glieder einer Kette, die uns entweder fesselt oder uns zur Freiheit führen kann. Wie wir also unsere Entscheidungen treffen, hat direkten Einfluss auf unser Wohlbefinden, auf den Grad unserer Freiheit und vor allem auf den Erfolg, den wir haben. Wir kommen deshalb nicht umhin uns mit der Frage danach zu beschäftigen.

Wenn wir vor einer Entscheidung stehen, dann befinden wir uns an einem Scheideweg in unserem Leben. Vom jeweiligen Zeitpunkt aus gesehen, gibt es mindestens zwei, meistens aber noch mehrere, Möglichkeiten, wie wir handeln können und damit unseren Lebensweg beeinflussen können. Eine Möglichkeit, die hier nicht verschwiegen werden soll, besteht freilich auch darin keine Entscheidung zu treffen und einfach „stehen“ zu bleiben. Doch diesen Weg zu wählen ist gleichbedeutend mit Rückschritt, mit „Schrumpfen“, dem genauen Gegenteil von Wachstum. Nicht-Entscheidung bedeutet immer Verweigerung von Entwicklung und ist ein Schritt in Richtung Tod. Im Leben geht es in jeder Situation darum, ob wir einen Schritt in Richtung Leben oder in Richtung Tod machen. Treffen wir eine Entscheidung, besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass wir uns für den Tod entscheiden, doch wenn wir überhaupt keine Entscheidung treffen, haben wir uns unweigerlich für ihn entschieden. Eine Entscheidung zu treffen ist immer besser als keine zu treffen – selbst dann, wenn wir eine Münze werfen müssen. Das Allerschlechteste ist in jedem Fall sich nicht zu entscheiden. Daran herrscht nicht der geringste Zweifel.

Wenn wir uns entscheiden, haben wir immer die Möglichkeit zu lernen – gerade aus einer falschen Entscheidung. Besonders falsche Entscheidungen sind zum Lernen gut geeignet, da sie uns eher dazu bringen über eine Situation nachzudenken, als wenn alles gut läuft. Wenn etwas schief läuft, fragt man sich oft, wie es dazu gekommen ist und was wir in Zukunft anders machen müssen. Hingegen fragt kaum jemand, wenn er Erfolg hatte, warum dies der Fall gewesen ist. Wir Menschen sind in den meisten Fällen so gestrickt, dass Fehlschläge die besseren Lehrmeister sind als die Erfolge.

Es gibt nun vier, und zwar nur vier, Grundarten, wie wir Menschen Entscheidungen treffen. Es kommt dabei darauf an, von welchen Überlegungen wir uns leiten lassen. Diese vier Arten sind:

  • Die vollständig rationale Entscheidung: der Zweck als auch die Mittel sind rational
  • Die wertrationale Entscheidung: der Zweck ist rational
  • Die emotionale Entscheidung
  • Die traditionsorientierte Entscheidung: die Entscheidung, die auf der Erfahrung beruht

 

 

 

Die vollständig rationale Entscheidung

Bei dieser Entscheidungsform hat jemand nicht nur rationale Argumente für sein Handeln, sondern auch seine Absichten sind rational. Diese Art der Entscheidung ist sehr selten, viel seltener als man gemeinhin glauben möchte. Diesem Irrtum unterliegen wir vor allem deshalb, weil wir uns selbst und unsere Kultur (im Westen) für sehr rational halten. Zu dieser Ansicht hat vor allem die Aufklärung und unsere technischen Errungenschaften der letzten drei Jahrhunderte beigetragen. Am deutlichsten wird die Diskrepanz in der Politik und im Rechtswesen. Die Argumente, die uns für eine bestimmte Handlung in diesen Bereichen präsentiert werden, sind durchaus rational – in sehr vielen Fällen zumindest, doch die dahinter stehen Absichten sind es nicht. Weltanschauliche, philosophische, religiöse Anschauungen oder Ideologien aller Art kommen seit jeher mit Vorliebe unter dem Deckmantel der Vernunft daher. Wer also vollständig rational entscheiden möchte, muss eine strickte Selbstprüfung vornehmen, um sich zu vergewissern, dass das, was er will vernünftig ist und nicht bloß einem schlichten Wollen (aus welchen Gründen auch immer) entspringt. Vollständig rationale Entscheidungen sind meist dort die besten, wo es um „technische“ Angelegenheit geht, wo der menschliche Faktor kaum eine Rolle spielt und es darum geht auf Grundlage der Naturgesetzte die bestmögliche Entwicklung herbeizuführen. Konfliktpotenzial bietet diese Art der Entscheidung oft dort, wo es um Fragen der Macht geht, vor allem, wenn Macht mit anderen Werten kollidiert (siehe die wertrationale Entscheidung). Wert Macht als den höchsten Wert von allen (wertrationale Orientierung) ansieht, verwendet oft die Vernunft zur Durchsetzung seines Willens (rationale Entscheidung) – doch bei genauerer Prüfung entdeckt man die „Verzweckung“ der Vernunft für dieses andere Ziel.

 

Die wertrationale Entscheidung

Hier ist ein Wert derart entscheidend, dass jemand bereit ist auch zu nichtrationalen Mitteln zu greifen, um ihn durchzusetzen. Man findet solche Entscheidungen sehr häufig bei Religionen, Weltanschauungen und starken Überzeugungen aller Art. So sind Menschen etwa bereit das Leben zu schützen, selbst dort, wo dieses sehr schmerzhaft weiterzuführen ist (Verbot der Sterbehilfe) oder wo große Nachteile für das gesamte Leben zu erwarten sind (Verbot der Abtreibung auch von schwer behinderten Föten). Negativ gesehen sind solche Entscheidungen meist solche, bei denen es „ums Prinzip“ geht. Jemand ist bereit große Nachteile auf sich zu nehmen, um einem bestimmten, von ihm selbst hochgehaltenen Wert, zum Durchbruch zu verhelfen. Wertrationale Entscheidungen sind dort am besten, wo es um die fundamentalen Werte des Lebens geht – Leben, Freiheit, Würde und dergleichen. Ohne Wertrationalität gäbe es keinen verlässlichen Schutz des Lebens und der Freiheit.

 

Die emotionale Entscheidung

Diese Art der Entscheidung hat heutzutage den schlechtesten Ruf von alle und doch ist sie in der Praxis die häufigste. Die Werbung zielt dabei ganz besonders darauf ab. Gerade weil wir glauben über die Emotionen erhaben zu sein, sind sie so machtvoll. Mit den Emotionen verhält es sich nämlich recht paradox. Je mehr wir uns bewusst dagegen wehren, desto stärker wirken sie unbewusst auf uns und steuern unser Verhalten. Eine ehrliche Prüfung unserer Entscheidungen bringt es zutage: von keiner Entscheidungsart machen wir mehr Gebrauch, als von dieser. Ich will hier eine Lanze für die emotionale Entscheidung brechen – zumindest in jenen Bereichen, in denen sie durchaus sinnvoll ist. So lassen sich unsere Emotionen trainieren und oft sind sie das Ergebnis von jahrelanger Erfahrung, die uns nicht bewusst ist. Das, was wir Intuition nennen, ist nichts anderes als unbewusstes Wissen – und diesem zu vertrauen ist oft sehr vorteilhaft. Vorsicht ist jedoch beim „Bauchgefühl“ walten zu lassen. Hier werden wir in den meisten Fällen von anderen verführt und dienen damit deren Zielen und nur selten unseren eigenen.

 

Die traditionsorientierte Entscheidung

Hier orientieren wir uns an der Vergangenheit und damit vor allem an unserer bewussten Erfahrung, beziehungsweise jener von anderen. Wir studieren die Vergangenheit, um daraus Schlüsse für unser eigenes Verhalten zu ziehen, mit der Hoffnung bessere Entscheidungen zu fällen. Menschen sind ihrer Natur nach heute nicht anders, als sie es vor Jahrhunderten waren. Insofern gibt es gewisse grundlegende Wahrheiten über den Menschen, auf die wir uns verlassen können. Deshalb ist hier die Orientierung an der Vergangenheit zu empfehlen. Gerade auch was den zwischenmenschlichen Bereich betrifft, eignet sich diese Entscheidungsart meist sehr gut. Alte Menschen mit viel bewusster Lebenserfahrung (Achtung: nicht jeder alte Mensch ist auch „weise“ oder erfahren!) können den Jüngeren hier oft wertvolle Hilfestellung geben. Der Trend der heutigen Zeit zu glauben das Alte hätte uns nichts mehr zu sagen, ist deshalb völliger Unsinn. Die Vergangenheit der Menschheit bietet viele Schätze, die zu erforschen sich lohnt – auch als Entscheidungshilfe ist hier einiges zu finden – auch im 21. Jahrhundert.

 

Ich will hier keinesfalls grundsätzliche Partei für irgendeine der vier Entscheidungsarten ergreifen, denn alle haben ihre Berechtigung und jede kann in der jeweiligen Situation die richtige sein. Der moderne Mythos neigt dazu die vollständig rationale Entscheidung für die beste zu halten, doch wäre dies ein großer Irrtum, wenn wir wirklich ständig so handeln würden. Nicht einmal in der Wirtschaft, noch nicht einmal in der Wissenschaft (insbesondere in den Naturwissenschaften), wäre ein solches Vorgehen immer das Beste. Die Kunst besteht darin sich aller vier Arten bewusst zu sein und sie je nach Bedarf und Tauglichkeit einzusetzen. Damit fährt man im Leben eindeutig am besten.

 

Euer O. M.