Langeweile gehört zu den schlimmsten Übeln und größten emotionalen Schmerzustände, die ein Mensch im Leben überhaupt erfahren kann. So unglaublich es auch klingt, Langeweise ist historisch gesehen ein junges Phänomen. Erst seit dem 19. Jahrhundert ist der Begriff Langeweile, so wie wir ihn kennen, überhaupt bekannt, über die längste Zeit der Menschheitsgeschichte hinweg, wussten die meisten damit überhaupt nichts anzufangen. `Was für glücklichen Vorfahren!´ möchte man da doch denken. Wir leben in einer Welt, in der die Menschen zwar nach außen hin oft skeptisch-zynisch sind, auf der anderen Seite dennoch eine Naivität und Autoritätshörigkeit aufweisen, die aus längst vergangenen Zeit zu stammen scheint. Eines ist jedoch gewiss: Wie Sigmund Freud bereits vor langer Zeit erkannte, fühlt der Mensch sich nicht wohl in der Gesellschaft (siehe das „Unbehagen in der Gesellschaft“), das heißt genauer: er fühlt sich nicht wohl in der spezifischen Gesellschaft, die wir seit etwa 200 Jahren vorfinden. Worauf ist dies zurückzuführen? Nun, im Kern auf einen einzige Sache, deren sich viele Denker seit langem gewidmet haben: der Entfremdung.
Was ist Entfremdung
Der Begriff wird in der Psychologie, Philosophie und in der Soziologie verwendet und bezeichnet einen menschlichen Zustand, bei dem die Beziehung, entweder zu einer Sache, anderen Mensche oder sich selbst gestört, verdreht oder überhaupt nicht mehr vorhanden ist. Dieser kann sowohl auf gesellschaftlicher, als auch auf individueller Ebene eintreten. Ein Kennzeichen davon ist ein Verlust an Leben und Lebendigkeit, bis hin zu den mannigfaltigen psychischen Problemen und Störungen, die wir so oft bei Menschen wahrnehmen. Es ist der Zustand des „Herausgefallenseins“ aus der Schöpfung, wie es viele moderne Existenzialisten bezeichnen, das Gefühl, dass etwas grundsätzlich nicht in Ordnung ist mit der Welt – und zwar mit der Welt an sich. Dies ist eine Empfindung, die dem modernen Menschen wohlbekannt ist, doch ist dem nicht immer so gewesen.
Die Vier Arten der Entfremdung
Der Begriff Entfremdung war Ende des 19. Jahrhunderts und noch zu Beginn des 20. recht populär gewesen, geriet dann jedoch in Vergessenheit, bis er in den 60er- und 70er-Jahren noch einmal eine Renaissance erfuhr. So viele politische und weltanschauliche Irrtümer auch in der Vergangenheit mit diesem Begriff verbunden waren (und die wesentlich dazu beigetragen haben, dass die Diskussion darüber so unglaublich vergiftet wurde), so sehr bleibt in ihrem Kern doch eine tiefe Wahrheit bestehen. Unter Entfremdung kann man insgesamt verschiedene Dinge verstehen. Zusammengefasst sind es eben diese vier Bereiche, die davon betroffen sind:
- Die Entfremdung von der eigenen Arbeit
- Die Entfremdung von seinen Mitmenschen
- Die Entfremdung von der Natur
- Die Entfremdung von sich selbst
All diese Arten von Entfremdung können heute überall beobachtet werden, sie alle haben eine zentrale Ursache:
Das Kernproblem besteht darin, dass wir zum Lebendigen dieselben Beziehungen wie zu den Objekten haben.
Eng damit Verbunden ist die Objektifizierung allen Seins, nicht nur der leblosen Dinge, sondern auch des Lebendigen, einschließlich des Menschen selbst. Kaum einer hält sich mehr an Kants Weisheit niemals einen anderen Menschen zu verzwecken, ihn nicht als Mittel zu den einen Zwecken zu missbrauchen. Ja, gerade das Gegenteil ist heute die Regel. Doch damit geht etwas anderes einher, das kaum einer bedenkt:
Man kann andere nicht missbrauchen und zum Objekt machen, ohne sich dabei selbst zu missbrauchen und zum Objekt zu degradieren!
Wie kann man sich wieder mit dem Leben verbinden?
Schleichend sind wir mit der Zeit in diese Misere hineingeraten. Doch, gibt es einen Weg heraus? Zuerst einmal sollten wir damit aufhören zu tun, was uns in diese Lage gebracht hat. Wenn man in einem tiefen Loch sitzt, sollte man zuerst einmal aufhören weiter zu graben.
Das Leben an sich ist leicht, doch das gute Leben ist schwer, vor allem in unserer Zeit. Warum? Weil wir in den allerwenigsten Fällen mit unserem Geist im Hier und Jetzt weilen, meist ist er entweder in der Vergangenheit oder in der Zukunft (im Gehirn spielt sich dasselbe ab, wenn wir an die Vergangenheit denken, als wenn wir Zukunftsprognosen machen, lediglich wenn wir ganz gegenwärtig sind, verhält es sich völlig anders!). Doch wir sind nicht verloren, sondern können diesem allgemeinen Strom der Geschichte als Individuum erfolgreich entgegentreten, wenn auch die Chancen für die Menschheit als ganzer nicht besonders gut aussehen. Schauen wir uns die wichtigsten Dinge an, die das Individuum unternehmen kann, um ein intensives Leben, das mit Sinn und Zweck erfüllt ist tun kann.
- Überprüfe deine Motivation bei allem, was Du tust. Wenn Du etwas anstrebst, wenn Du einer bestimmten Tätigkeit nachgehst, was sind Deine Motive dabei? Wenn Du mit anderen Menschen in Kontakt trittst, was möchtest Du wirklich von ihnen? Es ist recht schwer einen anderen objektiv zu sehen, wenn man ihn zur Befriedigung des eigenen Willens gebrauchen möchte.
- Erkenne das Lebendige in allem, vor allem im Mitmenschen. Wer Lebendes gleich wahrnimmt, wie Nicht-Lebendiges, geht an der Wahrheit vorbei.
- Seine eigenen Werte kennen, ebenso wie die eigenen Ziele im Leben, die nicht einfach von der Erziehung und Gesellschaft übernommen wurden. Die Frage nach dem Sinn ist eine zutiefst menschliche. Man mag zwar argumentieren, dass „Sinn“ in der Welt der Natur nicht vorkäme, doch damit bestätigt man nicht die Sinnlosigkeit der Natur, sondern vielmehr, dass der Mensch eben nicht vollständig Natur ist, sondern über sie hinausgeht.
- Sein Leben reflektieren. Sokrates meinte schon, dass ein nicht reflektiertes Leben nicht wert sei gelebt zu werden. Damit war gemeint, dass der Mensch lebt, aber nur dann, wenn er sich dessen bewusst ist, wenn sein Leben nicht auf Autopilot läuft. Nur dadurch transzendiert er das Tiersein, ansonsten lebt er nicht, sondern wird, wie die Kreatur, einfach nur gelebt.
- Habe einen Ehrenkodex und gestatte es Dir nicht andere wie Objekte zu behandeln. Der Mensch ist ein Phänomen und kein „Ding“, das nach Belieben gebraucht werden kann.
- Begnüge Dich nicht mit oberflächlicher Psychologie wie etwa dem Behaviourismus, der sich nur darum kümmert, wie man Menschen manipulieren kann, wie man von ihnen bekommen kann, was man möchte. Verlege Dich auf das tiefere Studium des Menschen und versuche sein Wesen und nicht bloß sein Verhalten zu ergründen.
- Lerne es tiefe Konzentration und Verbundenheit mit allen Deinen Tätigkeiten und allem Umgang mit Deinen Mitmenschen zu praktizieren.
- Vermeide Multitasking. Es ist ohnehin ein Illusion zu glauben man können mehrere Dinge gleichzeitig erledigen – ein Mythos, der aufrecht erhalten wird, um Menschen „auf Trab“ zu halten. In Wahrheit kann der Mensch nur eine einzige Sache zu einem gegebenen Zeitpunkt ausführen. Erkenne dies an und versuche deshalb nicht gegen Deine Natur zu handeln.
- Es gibt für alles eine Zeit: für das Geschäft, wie für die Ruhe, für die Geselligkeit, wie für die Einsamkeit. Sorge dafür, dass Dein Leben abwechslungsreich ist und habe auch nicht immer dieselbe Geisteshaltung. Das Leben nur aus einer einzigen Perspektive heraus zu beobachten, macht es langweilig und lässt einen den Mangel an Tiefgang empfinden.
- Verbringe viel Zeit in der freien Natur, vor allem in Gegenden, in denen Du alleine bist, wie im Wald, am Strand (nicht an einem überfüllten Badestrand) oder auf hohen Bergen. Die Verbindung mit der Natur, in der wir Menschen den größten Teil unserer Evolution verbracht haben, klärt den Geist, verbessert das Denken und ist eine Regeneration für unsere Seele.
- Lerne es tiefe und wahrhaftige Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Dies ist nicht leicht und es gibt auch nicht allzu viele Zeitgenossen, mit denen dies möglich ist, doch als soziale Wesen führt für uns nichts daran vorbei über gute zwischenmenschliche Beziehungen zu verfügen. Unser Leben wird in allen Bereichen davon berührt, nicht nur unser Wohlbefinden und Gesundheit, unsere Lebensweise und Philosophie, sondern auch unser Lebenserfolg. Allzu viele Menschen sind nur deshalb erfolglos, weil sie sich ständig mit Menschen umgeben, die nicht gut für sie sind.
- Entwickle Interesse an neuen Dingen. Die meisten Menschen leben ihr Leben immer auf dieselbe Weise – jahrein, jahraus. Trifft man jemanden nach fünf Jahren ist er in der Regel immer noch mit denselben Dingen beschäftigt. Mit den wirklich interessanten Menschen im Leben verhält es sich nicht so: ständig sind sie dabei etwas Neues zu erforschen, zu lernen und auszuprobieren – ihr Leben beinhaltet oft Überraschungen und wenn man sich eine Zeitlang nicht getroffen hat, so erfährt man immer etwas Neues von ihnen. Versuche mehr ein solcher Mensch zu sein. Interessiere Dich auf für Dinge, von denen Du bisher nichts wissen wolltest – ein Hobby, ein Fachgebiet, was auch immer. Lass das Leben Dich etwas lehren und mit Energie erfüllen. Glaube niemals, dass Du bereits genau wüsstest, was Du alles kannst und auch nicht, wer Du eigentlich bist. Wenn man die Fähigkeit verliert sich selbst zu überraschen, dann hat man einen Teil von sich selbst verloren.
- Lerne zu denken, originär zu denken und Deine eigenen Schlussfolgerungen aus den Dinge und Ereignissen der Welt zu ziehen, auch, oder gerade dann, wenn sie unpopulär sind. Dann meistere es die Einsamkeit auszuhalten, sowie den Widerstand, der Dir dann entgegenschlagen wird. Betrachte solches nicht als etwas Schlechtes, sondern als Möglichkeiten daran zu wachsen. Alle großen Geister der Geschichte sind an den Widerständen gewachsen, nicht an der Zustimmung – diese fühlt sich lediglich besser an, ist aber bei der Persönlichkeitsentwicklung nicht sehr hilfreich.
- Letztlich fühlt man sich im Leben auch oft deshalb leer oder entfremdet, weil sich im Inneren nichts Substanzielles findet, nichts, was man sich wirklich selbst erschaffen hat. Der eigene Geist ist nur mit Informationen von außen gefüllt, von Dingen, die man gelernt und übernommen hat. Doch erst durch das Selberdenken, das Durcharbeiten von erhaltenem Wissen, erwirbt man „wahres“ Wissen. So gesehen gibt es auch in der heutigen Zeit nur wenigen Menschen, die wirklich etwas wissen und Sokrates alter Spruch „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ ist immer noch so wahr, wie er zu allen Zeiten gewesen ist.
Euer O. M.